Die AfD im Deutschen Bundestag

Die Partei „Alternative für Deutschland“, bekannt als „AfD“ sitzt seit der heutigen konstituierenden Sitzung des 19. Deutschen Bundestages im Parlament. Die gewählten 92 Abgeordneten bilden die drittstärkste Fraktion.

Als ich vor Jahren die ersten Plakate dieser Partei auf den Straßen Greifswalds sah, wurde ich abgeschreckt: Vom biederen Auftritt, dem Namen, der Euro-Kritik, dem Beigeschmack von Volkstümelei. Die Farben der Partei, Blau, Rot und Weiß, wurden damals von einem Grau überlagert. Ich schüttelte innerlich den Kopf und ging weiter.

Heute klingen ihre Auftritte, ihre Stimmen in meinem Kopf lauter, ich nehme sie nicht nur wahr, ich bin empört über ihre Wahl in den Bundestag. Ich bin erstaunt, traurig, und ja, auch angewidert, wenn ich erfahre, dass jemand in meinem näheren Umfeld sie gewählt hat. Leider bin ich meist nicht überrascht.

Doch obwohl ich die Diskussionen um ihre Eintritte in 14 der 16 Landtage in Deutschland, um ihre inneren Querelen immer häufiger, immer wachsamer verfolge, für eine Diskussion mit einem überzeugten Parteimitglied oder für ein hitziges Gespräch mit betrunkenen Wählern (ja, führte ich schon, oder eher: ich versuchte es) fühle ich mich nicht gut genug gewappnet. Ich will mich noch mehr mit ihrem Parteiprogramm, mit ihren Redeinhalten beschäftigen. Das hindert mich nicht daran, meine Meinung, soweit ich sie argumentativ stützen kann, zu äußern.

Denn ich halte die Resonanz, die ihnen mit den Mandaten auf allen politischen Ebenen in Deutschland gegeben wurde und wird, für gefährlich. Ich will nicht, dass diese Partei für mich spricht, ich will nicht, dass ihr Parteiapparat, die Verbreitung ihrer Inhalte von den Steuergeldern meiner Gesellschaft bezahlt wird. Ich schäme mich, dass Familienmitglieder sie mit ihrer Stimme unterstützen.

Die Wahlzettel des dritten Wahlganges für den letzten Stellvertreter  des Präsidenten des Bundestages wurden gerade ausgezählt: Der Kandidat der AfD erhielt auch in diesem Wahlgang nicht genügend Stimmen. Immerhin: Es waren weniger (114) als im zweiten Wahlgang (123). Aber er hat mehr Stimmen erhalten, als seine Fraktion Sitze im Bundestag hat. Also müssen auch Abgeordnete anderer Parteien ihm ihre Stimme gegeben haben.

Jetzt könnte ich sagen: Das ist eine Schande! Ein Mann, der das Grundgesetz nicht achtet, weil er dem Islam das Grundrecht auf Religionsfreiheit abspricht, sollte von keinem Abgeordneten des Bundestages unterstützt werden.

Ich könnte aber auch darauf hinweisen, dass laut Geschäftsordnung des Bundestages jeder Fraktion ein Stellvertreter im Präsidium zusteht. Und die AfD beharrt bisher auf diesem Kandidaten.

Beide Argumente haben Belang für mich. Ich hoffe, dass er nicht gewählt wird. Ich hoffe, dass er beim nächsten Wahlgang in einem Monat noch weniger Stimmen bekommt. Denn egal, ob die Fraktionsvorsitzenden seiner Partei seine Worte verteidigen, ob sie immer wieder betonen, man interpretiere seine Worte falsch – in dieser Rede in Oestrich-Winkel sagte er, dass man dem Islam das Recht auf Religionsfreiheit entziehen müsse, da dieser selbst keine Religionsfreiheit kenne. Diese Auffassung will ich nicht unterstützen. Folgte man seiner Argumentation, dann verlören all diejenigen, die das Grundgesetz nicht achten, die Rechte, die in diesem proklamiert werden. Er sagt wörtlich: „Und wer so mit einem Grundrecht umgeht, dem muss man das Grundrecht entziehen.“

Diese Rede lässt mich den Kopf schütteln; lässt mich lachen, weil er den Spannungsbogen verliert, als es mit der Technik nicht so läuft, wie er will. Mein Lachen wurde lauter, als er laut überlegen muss, welche Religion in Indien sich seiner Auffassung nach gegen den Islam behaupten müsse. Er kratzt sich am Kinn, reagiert dann auf Zurufe und sagt darufhin, die Buddhisten (!!!) kämen mit den Islamen (!!!) in Indien nicht klar. Inhalte und Haltung dieses Mannes und dieser Rede sollten keine Relevanz, keine Bühne erhalten. Würde er aber ein Stellvertreter des Bundestagspräsidenten, dann bekäme er eine größere Bühne, seine Worte ein noch größeres Gewicht, als sie es aus seiner Position als Bundestagsangehöriger eh schon erhalten.

Die AfD wird einen anderen Kandidaten aufstellen müssen, wenn sie den Stellvertreter-Posten tatsächlich besetzen will. Sollte er trotz dieser Rede, trotz der von ihm vertretenen Positionen in den nächsten Wochen über irgendein Geschacher mit den anderen Fraktionen (geplant ist unter anderem ein Treffen mit der SPD, das ich begrüße: die Demokratie lebt vom Austausch) die nötigen Stimmen erhalten, wäre ich enttäuscht vom Deutschen Bundestag.

Die Berichterstattung zur konstituierenden Sitzung, die ich heute verfolgte (ARD, Phoenix) war leider sehr AfD-konzentriert. Allerdings widme ich den ersten meiner politisch orientierten Beiträge auch dieser Partei. Natürlich ist ihre Wahl in den Bundestag ein Novum, natürlich erwartete man vorab Probleme aufgrund der Änderung der Geschäftsordnung, die Herrn Solms von der FDP zum Alterspräsidenten machte: Noch vor der Sommerpause entschied der letzte Bundestag nämlich, dass nicht mehr der älteste Abgeordnete, sondern der dienstälteste die konstituierende Sitzung bis zur Wahl des neuen Präsidenten leiten soll; begründet wurde das mit möglicher mangelnder Erfahrung des ältesten Abgeordneten. Allerdings ahnte man da schon, dass die AfD in den Bundestag einzieht – nach alter Regelung wäre dann Herr Gauland, heutiger Fraktionsvorsitzender der Partei, zum Alterspräsidenten geworden. Zudem bot die Nominierung Herrn Glasers als Stellvertreter des Präsidenten Gesprächsstoff.

Doch die Präsenz der AfD im Bundestag erhält durch die Gewichtung in der Berichterstattung meines Erachtens eine zu große Bedeutung. Den Abgeordneten dieser Partei muss in der Sache begegnet werden. Sie müssen sich in den Ausschüssen behaupten oder werden aufgrund von mangelnder Fachlichkeit scheitern. Die Personalien zu diskutieren, halte ich für notwendig. Aber dies erfolgte bisher in zu breiter Form. Wenn die Personen, die nun im Bundestag sitzen, das Grundgesetz missachten, wenn sie davon sprechen, Menschen zu jagen  oder sie zu entsorgen (Herr Gauland tat beides; das will ich nicht verlinken, wäre wieder eine zu große Bühne), dann muss ihnen ihr Verfehlen deutlich gemacht werden. Der Bundestag, die Abgeordneten, jeder, der sich oder andere durch solche Worte angegriffen fühlt, muss ihnen verbal und rechtlich die Stirn bieten. Und parallel und fokussiert macht man mit der Sache, mit der Bewältigung des Problems weiter. Dann kann die AfD so oft sie will – und laut Geschäftsordnung darf – wählen lassen – am Ende erhält sie hoffentlich immer dann zu wenige Stimmen, wenn sie in der Sache gegen das Gesetz verstößt oder wenn ihr Vorhaben nicht gut genug ist.