Matt Reeves: LET ME IN (2010)

Owen ist zwölf, schmächtig und lebt in einem Wohnblock in New Mexico. Seine Eltern lassen sich gerade scheiden, die Mutter trinkt den einen oder anderen Wein und betet zu jeder Mahlzeit, der Vater ist die Stimme eines Abwesenden am Telefon. In der Schule wird Owen von einem Mitschüler mit dem üblichen Anhang drangsaliert, bis sein Blut und seine Tränen fließen.

Abby ist 12, oder so, läuft gern barfuß und sammelt Krimskrams, Knobelspiele. Sie ist stärker als Owen denkt und lässt sich von niemandem drangsalieren.

Die beiden lernen sich kennen, als Abby in Owens Wohnhaus zieht. Schon bei ihrem ersten Treffen sagt Abby ihm, dass sie nicht befreundet sein könnten.

Die Welt dieses Films ist dunkel. Owens und Abbys Einsamkeit  ist körperlich spürbar, zum Beispiel wenn Abbys nackte Füße  leise über den schneebedeckten Boden gehen. Owens Mutter hat kein fokussierbares Gesicht, seine Lehrer keine Augen und Ohren, die Nachbarn haben ihren eigenen Probleme. Die beiden Männer, die hinsehen, die helfen (könnten), verlassen sie oder dringen nicht durch bis zum eigentlichen Problem. Die Mitschüler erscheinen wie ein Schwarm ohne Aufmerksamkeit oder gar Mitgefühl. Nur der Bully und seine Crew sind allzu sichtbar, sind näher als man will, vielleicht, weil es sie überall gibt, weil sie aktiv werden und ihr Opfer prägen, es für immer zeichnen.

Die musikalische Untermalung dieses Films lässt das Grauen, das Gefühl der Ausweglosigkeit größer werden, doch sie ist kein Ersatz, sondern Stütze einer gelungenen Dramaturgie. Mit Kodi Smit-McPhee, der mich auch in Slow West beeindruckte, und Chloë Grace Moretz, deren kindliches Aussehen und gekonntes Minenspiel Kick-Ass überhaupt funken lässt , wurden die Hauptfiguren von zwei in jungen Jahren bereits versierten Schauspielern besetzt. Auch ihre deutschen Synchronstimmen, die Luisa Wietzorek und David Kunze gehören, markieren diese beiden Figuren als schutzbedürftig und unschuldig.

Aber wie das Cover der DVD schon verrät: Abby ist nicht unschuldig und Schutz braucht sie eigentlich nur vor sich selbst. Und Owen, der sich wehren können will, tut im Verlauf der Handlung Dinge, durch die er seine Unschuld, nicht aber die Sympathien des Zuschauers verliert.

Der Film, der die Verfilmung des schwedischen Romans Låt den rätte komma in adaptiert, ist ein Vampir-, ein Horrorfilm. Zugleich erzählt er aber von Einsamkeit und einer Freundschaft, die womöglich eine andere Art der Einsamkeit zur Folge hat. Er fragt nach der Gestalt des Bösen und wie wir mit diesem umgehen können. Owen bietet Identifikationspotenzial und lässt dich zugleich um die Kinder dieser Welt fürchten, die später einsame, kaputte Erwachsene werden.

Meine Empfehlung: Suhle dich in seinem Horror – aber führe danach mindestens fröhliche Gespräche oder such dir jede Menge Sonne.

 

2010, FSK ab 16

Wer ist Abby? Lest in Kürze die Diskussion meiner These hier auf Kalliope revised.